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Hat ein Versicherungsunternehmen seine Kunden nicht richtig über das Widerspruchsrecht informiert, hat der Verbraucher ein zeitlich unbefristetes Widerspruchsrecht. Der Versicherer muss im Rahmen der Rückzahlung der gezahlten Prämien auch die Abschluss- und Verwaltungskosten erstatten.
Nach § 5a Versicherungs-vertragsgesetz in der bis Ende 2007 geltenden Fassung konnten Versicherungsnehmer, die einen Vertrag in den Jahren 1995 bis 2007 nach dem so genannten Policenmodell abgeschlossen hatten und dabei fehlerhaft über ihr Widerspruchsrecht informiert worden waren, höchstens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie widersprechen. Im Rahmen des Policenmodells füllte der Kunde ein Antragsformular aus. Der Versicherer nahm den Antrag an, indem er dem Kunden den Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen sowie die übrigen Vertragsunterlagen übergab.
Waren die Unterlagen unvollständig, und fehlte vor allem ein deutlicher Hinweis auf die Widerspruchsfrist, verstoßen die Verträge nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs gegen geltendes europäisches Recht. Ein versteckter Hinweis im Kleingedruckten reiche nicht aus.
Was hat der BGH entschieden?
Mit Urteil vom 07. Mai 2014 (Az.: IV ZR 76/11) hatte der BGH entschieden, dass die Regelung des § 5a Versicherungsvertragsgesetz (alte Fassung) auf Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen nicht anwendbar ist. Damit steht Verbrauchern, die bei Abschluss einer Lebens- oder Rentenversicherung nicht ordnungsgemäß über ihr Recht zum Widerspruch belehrt wurden, auch heute noch ein Widerspruchsrecht zu. Gleiches dürfte gelten, wenn der Versicherer nicht die Versicherungsbedingungen und weiteren Verbraucherinformationen überreicht hat.
Die Ausübung des Widerspruchsrechts hat grundsätzlich zur Folge, dass der Versicherer die gezahlten Prämien zurückerstatten muss.
Mit Urteilen vom 29. Juli 2015 (Az.: IV ZR 384/14 und IV ZR 448/14) hat der BGH in zwei weiteren Verfahren entschieden, welche Positionen bei einer Rückabwicklung nach erfolgtem Widerspruch dem Versicherungsnehmer zustehen und welche in Abzug zu bringen sind. Neben einer ggfs. bereits erfolgten Auszahlung des Rückkaufswertes aufgrund einer Kündigung darf der Versicherer zunächst die Risikokosten für den bis zum Widerspruch bestehenden Versicherungsschutz abziehen. Wurde darüber hinaus auch Kapitalertragssteuer (plus Solidaritätszuschlag) bei Auszahlung des Rückkaufswertes an das Finanzamt abgeführt, so wird auch diese als Vermögensvorteil des Versicherungsnehmers berücksichtigt und entsprechend von den zurück zu zahlenden Prämien abgezogen.
Der Versicherer darf allerdings nicht die Abschluss- und Verwaltungskosten in Abzug bringen. Diese sind in voller Höhe zu erstatten, so der BGH in den beiden vorgenannten Entscheidungen. Gleiches gilt für erfolgte Ratenzahlungszuschläge.
Ebenso hat der Versicherer die aus den Prämien tatsächlich gezogenen Nutzungen zu erstatten. Allerdings liegt die Beweislast für die Ziehung von Nutzungen beim Versicherungsnehmer. Die bloße Vermutung einer Renditeerzielung in bestimmter Höhe reicht nicht aus. Der Versicherungsnehmer muss sich hierbei vielmehr auf die Ertragslage des jeweiligen Versicherers beziehen (BGH, Urteil vom 11.11.2015, Az.: IV ZR 513/14).
Sofern es sich um die Rückabwicklung einer fondsgebundenen Lebens- oder Rentenversicherung handelt, hat der Versicherer neben den oben genannten Abschluss- und Verwaltungskosten nur den aktuellen Fondswert herauszugeben. Das Verlustrisiko aus der Anlage der Sparanteile in die Fonds trägt der Versicherungsnehmer (siehe BGH, Urteil vom 21.03.2018, Az: IV ZR 353/16). Wurden allerdings mit den in Fonds angelegten Sparanteilen Gewinne erzielt, stehen diese dem Versicherungsnehmer zu (siehe ebenfalls BGH, Urteil vom 11.11.2015, Az.: IV ZR 513/14).
In jüngster Vergangenheit haben einige Versicherer eine Rückabwicklung abgelehnt und sich dabei auf verfassungsrechtliche Bedenken gegen die genannte BGH-Rechtsprechung berufen. Die versichererseits eingelegten Verfassungsbeschwerden wurden jedoch nicht zur Entscheidung angenommen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Mai 2016 (Az.: 1 BvR 2230/15 und 1 BvR 2231/15) festgestellt, dass die Entscheidungen des BGH vom 29. Juli 2015 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien. Damit dürfte zukünftig jedenfalls eine Ablehnung der Rückabwicklung unter Berufung auf verfassungsrechtliche Bedenken nicht mehr erfolgen.
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